Jerusalem. Keine Stadt hat uns bislang so fasziniert und auch gleichzeitig so überfordert wie Jerusalem. Nur wenige Orte der Welt können auf eine solch lange, wechselhafte Geschichte zurückblicken, die überall ihre Spuren hinterlassen hat. Und an nur wenigen Plätzen treffen Menschen unterschiedlichster Couleur auf so engem Raum aufeinander. Genau diese beiden Tatsachen haben uns von Anfang an eine gehörige Portion Respekt eingeflößt. Wie erkundet man eine solch besondere Stadt? Wieviel Zeit braucht man? Was müssen wir unbedingt sehen? Und was gibt es abseits der klassischen touristischen Hotspots noch zu entdecken? Die Antwort ist einfach: Eine Menge! Schließlich ist Jerusalem in vielerlei Hinsicht bedeutsam: religiös (für Christen, Juden und Muslime), politisch (als einer der Hauptstreitpunkte im Nahost-Konflikt) und kulturell (mit einem kunterbunten Mischmasch aus Tradition und Moderne). Das macht die Reiseplanung allerdings nicht unbedingt einfacher. Deshalb entschieden wir aus dem Bauch heraus: Zwei Tage müssen vorerst reichen!
Slalomlauf durch das Labyrinth der Altstadt
Es ist laut. Es ist voll. Es ist bunt. Die Altstadt Jerusalem ist insgesamt eine totale Reizüberflutung. Überall nimmt man andere Gerüche wahr, hört Stimmen in den unterschiedlichsten Sprachen. Die Straßen sind eng und das Sonnenlicht fällt nur selten zwischen die hohen Hauswände. Doch man weiss genau, dass hier nahezu jeder Stein mehr Geschichten erzählen könnte als man selbst je erleben wird. Und es scheint fast, als sei jedes Gebäude von irgendeiner besonderen Bedeutung. Unser erster Eindruck von Jerusalem war sehr ambivalent. Wir besuchten einen einmaligen Ort – doch im Gegensatz zu beispielsweise Jaffa fanden wir die schmalen Gassen nicht gemütlich und verträumt, sondern eher unangenehm beengend und überladen. Aber wir wollten nicht aufgeben, tasteten uns langsam weiter vor. Und mit der Zeit lernten wir, mit dem Trubel umzugehen. Selbst ein Teil von ihm zu werden.

Selten konnten wir so entspannt durch die Gassen schlendern.
Ziellos streiften wir umher, ließen uns treiben in der Masse der Menschen. Hier und da blieben wir stehen, um die Auslagen der unzähligen kleinen Geschäfte zu bestaunen. Plötzlich breitete sich vor uns die Via Dolorosa aus – jene Straße, auf der Jesus das Kreuz zum Platz seiner Kreuzigung getragen haben soll. Sie führt vom Löwentor bis zur heutigen Grabeskirche und erfreut sich offenbar größter Beliebtheit bei den unzähligen „Bibel-Touristen“, die sie grüppchenweise herumstehend – singend, betend oder schweigend – nahezu verstopften. Wir sind beide nicht sonderlich religiös, schauen uns Kirchen oder andere Gotteshäuser hauptsächlich wegen der meist spannenden Architektur an, aber diese Atmosphäre auf der Via Dolorosa ist schon überwältigend.

Entlang der Via Dolorosa findet man alle Stationen des Kreuzweges.
Nach einer kurzen Stippvisite in der Grabeskirche (von der wir erst hinterher erfahren haben, dass es die Grabeskirche ist) zogen wir weiter durch die Altstadt, treppauf, treppab, quer durchs jüdische Viertel, durchs muslimische Viertel, durchs christliche Viertel. Hinauf und hinab, immer wieder, Stufe um Stufe. Es scheint, als gäbe es kaum eine Stelle mit geradem Boden. Um unseren Kniegelenken und auch unseren Sinnen eine kurze Pause zu gönnen, flüchteten wir uns auf die weitgehend flache Stadtmauer. Zwei ihrer Abschnitte sind begehbar und bieten eine andere, interessante Perspektive auf das Altstadtgewusel – ergänzt um wunderschöne Aussichten auf die umliegenden neuen Bezirke jenseits der Mauer. Dort oben geht es deutlich ruhiger zu. Wir trafen selten andere Menschen und der Lärm der Altstadt war wie ausgeknipst. Was eine Wohltat!

Auf der Stadtmauer ist der Altstadttrubel wie vergessen.
Falls man nicht allzu viel Zeit für einen Spaziergang auf der Stadtmauer einplanen will und trotzdem einen guten Überblick über die Altstadt gewinnen möchte, ist die lutherischen Erlöserkirche eine optimale Anlaufstelle. Hier kann man nämlich gegen kleines Geld (20 NIS p.P.) sowohl die Ausgrabungen anschauen, als auch den Turm besteigen. Er ist immerhin der höchste der Altstadt und garantiert eine wunderbare Aussicht. Absolut empfehlenswert!

Vom Kirchturm der Erlöserkirche hat man einen fantastischen Blick.
Zurück auf dem Boden legten wir noch einen geplanten Stopp bei der berühmten Klagemauer ein, folgten dann aber wieder unserem Instinkt, der uns schnurstracks durchs Gewühl führte – und aus der Altstadt heraus. Ehe wir uns versahen, standen wir jenseits der Mauern. Schien wohl irgendwie ein Zeichen zu sein… Na dann schauen wir doch mal, was es „draußen“ zu entdecken gibt.
Geh doch mal raus! Highlights außerhalb der Altstadtmauern.
Man muss kein Prophet sein, um diesen Berg zu besteigen: Auf zum Ölberg!
Sobald man die Altstadt verlässt, liegt es nahe, einen Abstecher auf den berühmten Ölberg zu machen. Doch seid gewarnt: der Anstieg ist ganz schön schweißtreibend!

Im Kidrontal gibt es mehr als nur eine antike Grabstätte.
Wir verließen die Altstadt durch das Dung Gate und mussten somit noch einen kleinen Umweg zur Brücke über das Kidrontal zurücklegen. Dafür bot sich eine tolle Aussicht auf die Felsengräber im Tal, die nach heutigem Wissen wohl nicht den Personen gehören können, nach denen sie benannt sind. Hinter dem Tal ging es dann stetig bergauf Richtung Ölberg. Doch nach nur wenigen Schritten stolperten wir unverhofft in den Garten von Getsemani. Unzählige Menschen drängten sich in das kleine Areal – und dennoch war es: still!

Die uralten Olivenbäume zählen mittlerweile mehr als 1000 Jahre.
Eine himmlische Ruhe lag über der ganzen Gartenanlage, in der überall knorrige, alte Olivenbäume standen. Mag man der Bibel glauben, so betete Jesus in diesem Garten am Vorabend seiner Kreuzigung. Schon damals war der Getsemani mit Olivenbäumen bepflanzt und es beschleicht einen fast das Gefühl, als hätte so mancher dieser Bäume die Zeit bis heute überdauert.

In der „Kirche aller Nationen“ war trotz Gottesdienst ziemlich viel los.
Auf dem Gelände des Gartens befindet sich auch die Kirche aller Nationen, die in den 1920er Jahren auf den Ruinen einer alten Kreuzfahrerkirche errichtet wurde. Ihr Innenraum zeigt schöne Malereien vom Getsemani, die wir allerdings wegen einer gerade stattfindenden Messe nur eines kurzen Blickes würdigen wollten. Alsbald zogen wir weiter, vorbei an etlichen anderen Kirchen, dem gigantischen jüdischen Friedhof an der Südwestseite des Ölbergs und dem Grab der Propheten, bis wir den Aussichtspunkt unterhalb des Hotels „Seven Arches“ erreicht hatten. Dort oben lag uns Jerusalem zu Füßen. Die goldene Kuppel des Felsendoms funkelte in der Sonne – und ließ die Dächer der Grabeskirche und der Al-Aqsa Moschee vergleichsweise fast unspektakulär wirken. Drumherum breitete sich ein Wirrwarr an Häusern aus, das keiner Ordnung gehorcht. Ein fantastischer Anblick, der jede Schweißperle wert war!

Die goldene Kuppel des Felsendoms scheint alles zu überstrahlen.
Kleinstadtfeeling mitten im Zentrum Jerusalems: Spaziergang durch Yemin Moshe
Yemin Moshe ist wohl das, was man heutzutage als „Suburb“ bezeichnet, denn es war Ende des 19. Jahrhunderts eines der ersten jüdischen Wohnbauprojekte außerhalb der Altstadt. Die steigende Bevölkerungszahl Jerusalems zwang die Menschen dazu, neuen Wohnraum jenseits der Stadtmauern zu beziehen – mit Subventionen als Anreiz, versteht sich. Mishkenot Shaananim waren die ersten zwei Häuserreihen Yemin Moshes, die sogar schon kurz vor der Umsiedlung Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, als die Cholera in der Altstadt wütete. Die teilweise katastrophalen hygienischen Verhältnisse in den engen Gassen führten auch zu einem Umdenken, so dass „Wohnen außerhalb“ immer attraktiver wurden.

Hier würden wir auch sofort einziehen!
Heutzutage zählt Yemin Moshe zu den beliebtesten Wohngegenden in ganz Jerusalem. Wir können gut verstehen, warum! In dem wunderschönen Viertel reihen sich schicke, kleine Häuschen aneinander, deren Fassaden mit leuchtenden Blumen und stilvollen Dekorationen geschmückt sind. In jedes zweite wären wir am liebsten direkt eingezogen, doch wir vermuten, dass uns dazu leider das nötige Kleingeld fehlt. Entlang der Gassen bieten sich immer wieder tolle Blicke auf die Altstadt. Was will man mehr? Vielleicht noch ein paar Grünflächen? Kein Problem! Das gesamte Wohnviertel ist von Parks umgeben. Einfach traumhaft!

Im Künstlerviertel kann man durch die Galerien bummeln, wenn sie denn geöffnet haben.
Und als ob das nicht schon genug wäre, findet sich zwischen Mishkenot Shaananim und dem Jaffa Gate auch noch eine kleine Künstlersiedlung mit interessanten Ateliers und Kunstgalerien, die zu einem kurzen Bummel einladen. So lässt es sich doch auch außerhalb der Altstadtmauern sehr gut leben, oder?
Shopping im alten Bahnhof: The First Station
Irgendwie scheinen die Israelis an ihren alten Bahnhöfen zu hängen, denn wie schon in Jaffa wurde auch der alte Bahnhof in Jerusalem zu einer hübschen Outdoor-Mall mit großem Kinderspielplatz (inklusive Bummel-Zug!) umgebaut. Eine fantastische Idee! Neben vielen verschiedenen Ständen, an denen von Kleidung über Schmuck bis hin zu Geschenkartikeln alles Mögliche feilgeboten wird, gibt es eine schöne Auswahl an hippen Restaurants und gemütlichen Cafés. Besonders die entspannte Atmosphäre hat uns wirklich beeindruckt! Wir kauften uns ein Eis, setzten uns in die Sonne und lauschten der Live-Musik, die von einer Bühne über das Bahnhofsgelände schallte. Ein perfektes Nachmittagsprogramm!

Ein Traum für Souvenir-Jäger – Shopping an der First Station.
Unorthodoxes Nightlife am Mahane Yehuda Markt
Um noch tiefer in das moderne Jerusalem einzutauchen, sind wir in den frühen Abendstunden dem Tipp unserer Hosts gefolgt und haben den Mahane Yehuda Markt besucht. Er befindet sich im Stadtteil Ruhuma etwa 2,5 km nordwestlich des Jaffa Gates, erstreckt sich hauptsächlich über zwei parallel verlaufende Strassen sowie deren Querverbindungen und ist mit der Straßenbahn schnell erreicht.

Dutzende Händler bieten meist Lebensmittel an.
Auf den ersten Blick ist der Mahana Yehuda Markt tatsächlich vornehmlich ein Lebensmittelmarkt – und wir zogen erstmal lange Gesichter. Gemüse, Fisch und Nüsse waren nun nicht unbedingt die Waren, die uns als Touristen besonders interessierten. Aber wir hatten noch eine Mission, denn unsere Hosts hatten uns scharf gemacht auf „Knafeh“: ein Snack, den man dort bei jedem Bäcker bekommen soll. Süß soll er sein, mit unzähligen Kalorien und einer knallorangenen Farbe. Also machten wir uns auf die Suche und wurden alsbald fündig. Nach dem ersten Bissen waren wir uns einig: Knafeh schmeckt einfach genial – trotz der etwas gewöhnungsbedürftigen Optik! Der Zucker verlieh uns einen ordentlichen Motivationsschub.

Achtung Suchtgefahr! Knafeh hat es uns angetan.
Vielleicht ist dieser Ort doch interessanter als angenommen? Wir gingen weiter auf Erkundungstour, bummelten vorbei an den zahllosen Ständen und Läden und entdeckten dann doch noch die eine oder andere Leckerei, die schnurstracks in unseren Rucksack wanderte.
Kurz darauf erlebten wir die Verwandlung des Marktes. Sobald ein Laden seine Tore schloss, dauerte es keine 2 Minuten, bis eine der umliegenden Gastronomien ihren Außenbereich durch das Aufstellen von Möbeln vor dem soeben geschlossenem Geschäft deutlich vergrößerte. Und dann war es wiederrum nur eine Frage der Zeit, bis die neu geschaffenen Sitzplätze voll belegt waren. Auch wir setzten uns in eine der Bars, tranken noch einen Absacker (in unserem Fall: Bier und Cola) und beobachteten das Treiben auf dem Markt, das sich nun vom Einkaufen hin zu munterer Geselligkeit wandelte. Von wegen „Tel Aviv feiert, Haifa arbeitet und Jerusalem betet.“… Wir erlebten hier gerade ein junges liberales Jerusalem ganz nach unserem Geschmack!

Nachdem der Käsehändler seinen Laden abgeschlossen hat, entsteht eine neue Terrasse.
Jerusalem und wir – (k)eine Lovestory?
Abschließend betrachtet müssen wir zugeben, dass wir sicherlich noch viel länger in Jerusalem hätten bleiben können. Schließlich gibt es außerhalb der Altstadt noch einiges zu sehen. Ein Besuch der Knesset zum Beispiel, ein Spaziergang über den Herzlberg oder eine Tour durch die Holocaust Gedenkstätte wären sicherlich interessante Programmpunkte gewesen. Wir haben in unserer begrenzten Zeit einfach das gemacht, was sich für uns richtig und wichtig anfühlte. Und aus genau diesem Grund haben wir die Jerusalemer Altstadt vielleicht auch schneller hinter uns gelassen, als es manch anderer Besucher getan hätte. Sie war unglaublich interessant, keine Frage! Aber sie ist einfach keiner der Orte, die uns wirklich tief berührt haben. Es war uns schlichtweg zu voll. Zu wuselig. Zu viel. Mit unseren Abstechern nach Yenim Moshe, zum Mahane Yehuda Markt und zur First Station haben wir aber einen gewissen Ausgleich geschaffen, durch den wir Jerusalem definitiv positiv in Erinnerung behalten werden.
Ein Gedanke zu “[Israel] Jerusalem: (K)eine Lovestory? Unsere Eindrücke aus der Heiligen Stadt”